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Zeugnis vom Arbeitgeber
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Autor:  Michi [ 15.11.2010, 19:41 ]

Zeugnissprache

Die Wahrheit liegt meistens zwischen den Zeilen

Von Hilmar Poganatz



14. Januar 2005
In den Lücken lesen: Zeugnissprache ist für Laien ein Buch mit sieben Siegeln. Unser Wörterbuch übersetzt die Geheimcodes der Personalchefs in klar verständliche Noten.



Ein Urteil aus dem Jahr 1963 ist schuld daran, daß es für Laien nicht viel einfacher ist, ein Arbeitszeugnis zu entschlüsseln als eine Hieroglyphentafel. Seit dem Urteil VI ZR 221/62 des Bundesgerichtshofes ist es amtlich, daß auf Zeugnissen geschwindelt werden muß, daß sich die Balken biegen. Dabei hatten es die Richter doch nur gut gemeint, als sie die schon bestehende „Wahrheitspflicht" um die sogenannte „Wohlwollenspflicht" ergänzten: Seit über vier Jahrzehnten darf der Arbeitgeber das berufliche Fortkommen des Arbeitnehmers nicht mehr behindern und muß das Zeugnis positiv formulieren - auch wenn der Mitarbeiter faul oder unfähig war. Herausgekommen sind dabei die eigenartigen sprachlichen Verrenkungen, die heute allgemein als „Zeugnissprache" gelten: Freundlich klingende Floskeln, bei denen es gilt, zwischen den Zeilen zu lesen, um die versteckten Wahrheiten herauszufiltern. Diese Art der Schriftdeutung wird zusätzlich dadurch erschwert, daß nicht jeder Chef ein Formulierungsprofi ist und die Konventionen kennt und richtig anwendet.



„Vordergründig wird ein Sachverhalt gelobt, gemeint ist das genaue Gegenteil.“



Die wichtigste sprachliche Verschlüsselungsmethode ist die Leerstellentechnik („beredtes Schweigen"), bei der wichtige Aussagen einfach weggelassen werden, um auf Probleme im ausgelassenen Bereich hinzuweisen. Die Reihenfolgentechnik zeigt, ob der Mitarbeiter die richtigen Prioritäten gesetzt hat. Durch Negation wird Kritik durch doppelte Verneinung ausgedrückt („Er erzielte nicht unerhebliche Erfolge"). Der häufige Gebrauch der Passivform („hatte zu erledigen") deutet auf mangelnde Initiative. Die Einschränkungstechnik zeigt, daß der durch die Gesetzgebung entstandenen Zeugnissprache eine gewisse Grausamkeit und Verlogenheit zu eigen ist: Vordergründig wird ein Sachverhalt gelobt, gemeint ist das genaue Gegenteil („Er war im allgemeinen zuverlässig"). Gleiches gilt für Fälle, in denen Selbstverständlichkeiten und Nebensächliches die eigentlich wichtigen Aspekte ausblenden, oder für scheinbar nett gemeinte Andeutungen vom Schlage „so gut er konnte", das Mißtrauen wecken soll. Auch die Widerspruchstechnik weckt Mißtrauen durch die Ungereimtheit einer Formulierung wie „Herr Müller arbeitete nach Vorgaben selbständig". Am unteren Ende der Zeugnissprachenskala schließlich finden sich sogar gemeine, fast karikierende oder ironische Bemerkungen über den Arbeitnehmer wie „er war wegen seiner Pünktlichkeit stets ein gutes Vorbild" - ein Ausdruck, der den Beschriebenen als eine totale Niete ausweist. Wie die Psychologen Jürgen Hesse und Hans Christian Schrader in ihrem Standardwerk „Arbeitszeugnisse" betonen, gibt es „1001 Textbausteine", auf die Personalchefs zurückgreifen können. In einem kleinen Zeugniswörterbuch führen wir die wichtigsten Ausdrücke auf und orientieren uns dabei an den Bausteinen eines qualifizierten Zeugnisses, also der ausführlichsten und gängigsten Version eines Arbeitszeugnisses. Wo möglich, übersetzen wir die Formulierungen in Schulnoten und ergänzen diese durch einige übliche Beispiele für echte „Geheimcodes". Übrigens: Auch gegen Geheimcodes kann man klagen. Wer einen echten oder auch nur vermeintlichen Geheimcode in seinem Zeugnis entdeckt und dagegen klagt, hat gute Aussicht auf Erfolg. Denn selbst wenn der Personalchef es vielleicht gar nicht böse meinte - sobald ein von ihm verwendeter Satz in einem der einschlägigen Handbücher zum Thema Arbeitszeugnisse als Geheimcode genannt wird, gehen die Gerichte davon aus, daß ein Dritter ihn auch als solchen verstehen kann. Damit kann der Arbeitgeber per Urteil gezwungen werden, den Satz zu streichen. Bei der generellen Leistungsbewertung gilt: Eine unterdurchschnittliche Beurteilung (schlechter als befriedigend) muß der Arbeitgeber im Zweifelsfall vor Gericht belegen können. Umgekehrt trägt dagegen der Arbeitnehmer die Beweislast für eine gute bis sehr gute Benotung.

Quelle: http://www.faz.net/s/RubF35BCBFE46884BF ... ntent.html

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