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Kurzgeschichte - Die Weltensegler
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Autor:  silvershade [ 11.05.2009, 19:00 ]

Der Doktor grinste wie ein kleines Kind, das ein Bonbon gestohlen hatte. „So etwas Seltsames haben Sie bisher nicht gesehen, nicht wahr? Dies ist der Schlüssel, der die Welten verbindet. Nur wer ihn trägt, kann in eine andere Welt segeln. Und nur wer ihn trägt kann seine eigene Welt wieder finden. Ohne ihn sind wir in den Welten verloren, denn mag sich für uns dieser Brunnen nie verändern, in den anderen Welten tun sich die Tore nicht immer am gleichen Platz erneut auf. Diese Uhr ist Kompass, Karte und Schlüssel in einem. Sollten Sie jemals auf Reisen gehen, verlieren Sie ihn nicht! Und bewahren Sie ihn auch in unserer Welt stets verborgen auf, denn ohne ihn können wir nur stille Beobachter sein.“
Ich nickte, immer noch unsicher, ob ich nun aus einem schlechten Traum erwache, oder sich etwas Unfassbares, Wunderbares bald vor meinen Augen zutragen würde.
Der Doktor fuhr fort: „Ihre Aufgabe wird es sein, mich vorerst zu beobachten. Sie können nicht eingreifen, noch nicht zumindest. Darum wähle ich heute eine Welt aus, in der ich mich gut auskenne. Später einmal werden Sie auch ohne Schlüssel Nachrichten an mich schicken können, und das Zeichen zur Umkehr erkennen. Mein Junge, dieses Zeichen ist wichtig, es zeigt uns, wann unsere Anwesenheit nicht mehr erwünscht ist. Es offenbart sich in jenem Moment, da wir die Welt, welche wir betreten wollen, auswählen. Die Bedeutung werde ich Ihnen noch später erklären. Ich möchte Ihnen nun zeigen, wie es ist, in eine andere Welt zu segeln.“
Nun wandte er sich dem Brunnen zu, und deutete mir, mich an den Rand des Brunnens zu stellen. „Ich würde Sie ja mitnehmen, doch wir haben bereits einmal versucht, mit dem Schlüssel zu zweit zu reisen. Doch einer blieb stets in unserer Welt zurück. Daher kann ich Sie nicht an der Reise teilnehmen lassen. Ich hoffe, Sie sind mit deswegen nicht böse?“
Ich schüttelte den Kopf, meine Gedanken drehten sich derzeit ohnehin nur im Kreis. Ich wollte nur sehen, wie er das Tor öffnete und eintrat.
Der Doktor schloss die Uhr und steckte sie ein. Er trat noch näher an den Rand des Brunnens und hob theatralisch die Hand. Wieder wurde es taghell im Wasser und ein Zyklon aus Licht gab einige Welten preis. Der Doktor berührte mit seinem Finger die Wasseroberfläche, und deutete auf eine der Blasen, die eine Welt bargen. Dann zog er die Hand hinaus, und wie an Seidenfäden aufgehängt, folgte die Blase ihm näher an die Oberfläche, um das volle Bild der Welt preiszugeben.
Ich betrachtete die Blase genauer. Es war ein friedvoller Ort, ein unberührtes Stück Wald, an einem klaren Sonnentag.
Der Doktor sah mich herausfordernd an. „Nun, mein Junge, hoffe ich, dass wir uns bald gesund wieder sehen. Schauen Sie gut zu, und lernen Sie. Eines Tages werden auch Sie in andere Welten segeln. Und nun, treten Sie einen Schritt zurück.“
Ich folgte seiner Anweisung, ließ jedoch den Brunnen nicht aus den Augen. Der Doktor wandte sich wieder der Blase zu, die klar und deutlich vor ihm schwebte. Dann atmete er tief ein, schloss die Augen und ehe ich genau wusste, was geschah, erhob sich die Blase aus dem Wasser, und umschloss den Doktor, verschluckte ihn und tauchte mit ihm in die Fluten hinab.
Ich schluckte heftig. Ich konnte es kaum fassen, wovon ich soeben Zeuge geworden war. Um sicher zu sein, dass ich nicht alles geträumt hatte, kniff ich mir in den Arm, und als ich den Schmerz spürte, trat ich wieder an die Wasseroberfläche, und blickte hinein.
Die Blase war kleiner geworden, doch immer noch die Größte von allen. Ich sah mich um, und fand schließlich den Doktor, der durch den Wald spazierte, und schließlich in ein kleines Dorf gelangte, wo er freudig empfangen wurde. Es wirkte wie einer jener Filme, die neuerdings so populär waren, nur ohne Musik und in Farbe. Ich beobachtete wie der Doktor mit den Leuten redete. Sie trugen seltsame Kleidung, vielleicht war es ein Dorf weit weg von unserem Kontinent. Ihre Hautfarbe war dunkel, jedoch nicht so dunkel wie die der Afrikaner.
Ich weiß nicht mehr, wie lange der Doktor in dieser Welt verweilte, ich ließ jedoch keinen Augenblick die Geschehnisse aus den Augen. Nach endlos scheinenden Stunden wurde es hell in der Welt, und die Blase erhob sich, schwebte aus dem Wasser empor und gab den Doktor wieder preis. Erstaunt sah ich ihn an. Er war unverändert, wirkte müde aber zufrieden.
„Nun, mein Junge, haben Sie alles beobachtet und sich gemerkt?“ „Ja, das habe ich.“
„Gut.“ Sagte der Doktor zufrieden und klopfte mir auf die Schulter. „Haben Sie das Zeichen erkannt, als ich die Welt betrat?“ fragte er schließlich.
„Ich bin mir nicht sicher. Ich denke, es war ein blauer Vogel?“
Der Doktor nickte stolz. „Hervorragend, ein blauer Vogel. Wenn er meinen Weg kreuzt, muss ich das Tor finden, welches mich zurückführt. Aber es ist keineswegs immer dasselbe Zeichen, mein Junge, man muss beim Eintritt sehr genau darauf achten, was einen zurückführen wird. Aber das werden Sie gewiss alles noch lernen, mein Junge. Für den Anfang haben Sie gut aufgepasst.“


*fortsetzung folgt*

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