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Kurzgeschichte - Die Weltensegler
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Autor:  silvershade [ 09.05.2009, 19:34 ]

Ich sah eine Vielfalt an Gesichtern, welche durch das noch leicht trüber Wasser schwebten, und nach den Gesichtern erblickte ich verschiedene Städte, Länder. Ich erkannte Dinge, die schon vergangen waren, Dinge, die ich selbst erlebt hatte, und Dinge, welche mich eine ferne Zukunft erahnen ließen. Ich sah Dinge, wie sie jetzt geschahen, aber anders, als sie wirklich geschahen, und ich sah Menschen, denen ich begegnet war und die in anderen Posten waren, als ich sie kannte.
Und dann verschwanden sie, und das Wasser wurde erst trüb und dann dunkel, als wäre nichts geschehen. Ich taumelte wohl einige Schritte zurück, denn schließlich fühlte ich, wie Dr. Ebenstein mich auffing. Er führte mich auf einen Stuhl, der in der Nähe stand und reichte mir ein Glas Wasser.
“So, mein Junge, Sie sind also auch ein Weltensegler.“ Ich trank das Glas Wasser leer. Ich verstand nicht, was er mir zu sagen versuchte. Als hätte der Doktor meine Gedanken gelesen, redete er weiter: „Igor ist kein Weltensegler. Wenn er in den Brunnen sieht, sieht er nur Wasser, dunkles, tiefes Wasser. Nie würde der Strudel ihm die Dinge preisgeben, die es Ihnen enthüllt hat.“
Ich nickte, aber ich verstand nichts. Meine Gedanken mussten sich ordnen, und nichts ergab Sinn.
“Es sind andere Welten. Parallelwelten, wie viele Forscher sie nennen mögen, und sie nur in der Theorie kennen. Dies aber ist die Praxis, mein Junge. Diese Welten sind real, so real wie unsere. Manche ist zeitlich unserer voran, manche gleich auf und manche sind weit hinter uns. Nicht jede von ihnen ist mit unserer verbunden, doch viele sind uns zugänglich, und wir können sie beobachten.“
Ich schluckte heftig, als würde ich dadurch die Last, die auf mir lag, hinwegspüren, doch diese Befangenheit, die sich in meinem Kopf breit machte, blieb. „Diese Welten, sehen sie uns auch?“
„Natürlich, mein Junge, wenn wir sie sehen können, sehen sie uns auch. Dieser Brunnen ist das Tor zu ihnen, es öffnet sich nicht jedem, und nicht jeder kann es betreten. Und nicht jeder kann hindurch sehen, um die anderen Welten zu beobachten. Aber Sie können es, und darum möchte ich, dass sie fortan mein Assistent sind, und die Dinge tun, die Igor nun einmal nicht tun kann. Haben Sie Interesse?“
Ich weiß nicht mehr, was ich darauf gesagt hatte, ich erinnere mich nur, dass ich am nächsten Tag wieder kam, vom Doktor einen weißen Kittel bekam, und Igor wieder das Labor verließ. Dann begann der Doktor, mir einige Bücher und Notizen in die Hände zu drücken, und wirres Zeug auf mich nieder rieseln zu lassen. Ich hörte nur teilweise zu, denn ich konnte nur mehr an den Brunnen und was sich in ihm zugetragen hatte, denken.
„Haben Sie alles verstanden?“ Ich sah den Doktor verwirrt an. „Es ist ein wenig…“ „Unglaublich? Ja, das ist es.“
“Was ist meine Aufgabe?“
Der Doktor sah mich an, als hätte er die ganze Zeit von nichts anderem geredet, doch ich wusste, dass er nur von diversen Verschiebungen in den Atmosphären und Zeitsprüngen gesprochen hatte. Dann antwortete er: „Für den Anfang werden Sie nicht in die Welten segeln. Sie werden hier bleiben, und meinen Fortschritt überwachen, und notieren, was sich in den Welten zuträgt. Denn eines ist gewiss: alles, was wir in den anderen Welten tun, hat Auswirkungen auf die ein oder andere Welt. Und wenn ich Hilfe benötige, werden Sie mir helfen, zurückzukehren. Denn es gibt stets ein Zeichen, welches uns zeigt, wann wir umzukehren haben, um nicht zwischen den Welten gefangen zu sein. Wenn ich es nicht schaffen sollte, müssen Sie mich zurückholen.“
„Ist dies ein staatlich gefördertes Projekt?“ Als ob mich wirklich interessiert hätte, woher das Geld für diese Forschung stammte, so lange ich das Geld rechtzeitig jede Woche in Händen hielt, um damit meinen Lebensstil zu finanzieren.
Der Doktor lächelte, und mir wurde wieder kalt. „Unter dem Kaiser wurde dieser Brunnen gefunden. Zuerst wussten wir nicht, was dieser Fund für uns bedeutete. Mein Vater war damals ein bekannter Physiker, und der Kaiser selbst setzte ihn auf dieses Projekt an. Nach dem Krieg wussten nur noch wenige Eingeweihte davon. Als mein Vater starb, hatte er mir alles gezeigt, was es zu wissen gab. Nur mehr wenige der Eingeweihten sind am Leben. Der Staat zahlt für unsere Forschungen, doch weiß er es nicht. Hoffen wir, dass es so bleibt, und uns niemand beaufsichtigen möchte. Denn wie gesagt, alles, was wir in den Welten verändern, hat auch auf andere Welten Auswirkungen, vielleicht auch auf unsere.“
Der Doktor sah auf die Uhr. „Es ist schon recht spät, belassen wir es für heute bei dem, was ich Ihnen gesagt habe. Morgen werde ich Ihnen zeigen, wie man durch die Welten segelt, vorerst werden Sie nur beobachten. Lesen Sie sich die Notizen durch, sie könnten sich als nützlich erweisen. Wir sehen uns morgen, Punkt acht Uhr. Dies ist die beste Zeit, um die Welten zu bereisen.“
„In Ordnung, bis morgen.“ Stammelte ich, während ich das Labor mit drei dicken Notizbüchern verließ.

*Fortsetzung folgt*

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