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Kurzgeschichte - Die Weltensegler
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Autor:  silvershade [ 06.05.2009, 15:49 ]

AT: Die Weltensegler (eine Geschichte in Fortsetzungen)

Es mag manchem unwirklich erscheinen, aber was ich hier berichte ist wahr und ebenso geschehen, wie ich es hier niederschreibe, mag auch meine Erinnerung von vielen Wünschen verklärt sein, so gebe ich nur wieder, was sich vor vielen Jahren tatsächlich zugetragen hat.
Manche Menschen sprechen vom Schicksal, wenn sie ihrem Lebensmenschen begegnen, andere von Zufall, doch in einem sind sich fast alle einig: es musste so kommen, wie es gekommen ist.
Vor vielen Jahren also, als ich noch ein junger Mann war, unentschlossen durch die Welt irrte, nach meiner Bestimmung und meiner großen Liebe suchend, jedoch nicht wusste, wonach ich genau Ausschau hielt, spielte mir das Schicksal einen Schlüssel zu, von dem kaum jemand weiß, dass es ihn gibt.
Es war das Jahr 1935. Europa war im Wandel, und die Zeit hatte den Menschen übel mitgespielt. Nach dem Krieg waren ganze Landstriche entvölkert gewesen, und in den Städten tummelten sich Menschen aller Alters- und Gesellschaftsklassen, um Brot und Arbeit zu finden. Nur wenige hatten die Wirren des Krieges überstanden. Und dann waren die 20er Jahre gekommen, mit übertrieben fröhlichen Parties, verschwenderischem Luxus und willigen Frauen, die in der Hoffnung, das große Los zu ziehen, mit jedem gut aussehenden Mann mitgingen, und nur allzu oft Monate später Kindesmordes wegen verurteilt wurden.
Damals, 1935, war ich ein Student der Physik, ich reiste durch die Hauptstädte Europas, um an den verschiedenen Universitäten den berühmtesten Gastdozenten zu lauschen. Wie ich es mir leisten konnte? Ich war das einzige Kind eines alten Adelsgeschlechts, und mochte der Krieg und die Wirtschaftskrise der 20er Jahre vielen ihre Existenz geraubt haben, meine Familie stand weiterhin wohlhabend der Dunkelheit des Zerfalls gegenüber. Außerdem waren wir mit faktisch ganz Europa verwandt, und so fand sich in London, Paris, Amsterdam und Zürich eine alte Großtante, die mich für die Dauer meines Aufenthalts verköstigte.
Es war eine wirre Zeit, und mich zog es nach langem, ausschweifendem Reisen und vielen guten Zeugnissen und Arbeiten, wieder in die Heimat, genauer gesagt nach Berlin, wo ein Wissenschaftler der Physik gerade in diesen Zeiten viel Zuwendung finden konnte. Zuwendung im Sinne von Geld und Liebschaften, damit da keine Zweifel aufkommen.
Ich bewarb mich an den großen Instituten, und kleineren Forschungsarbeiten, doch nirgends sprach mich die Aufgabe, welche mir zugeteilt werden sollte, wirklich an. Schließlich wurde mein Vater wütend, er schrieb mir einen erbosten Brief, denn zum Anreisen hatte er keine Zeit: „Johann Albert Sibelius, ich bin von dir über alle Maßen enttäuscht. Nach all den Jahren auf Studienreisen wäre es meines Erachtens nach an der Zeit, dass du dich endlich dem wahren Leben stellst, eine Stellung annimmst, sesshaft wirst und dem Namen deiner Familie Ehre bereitest. Deine Mutter hat einen alten Bekannten in Berlin, welcher Doktor der Physik ist und besondere Forschungen in einem abgeschiedenen Labor vornimmt. Sie hat ein gutes Wort für dich eingelegt, und ich rate dir mit allem guten Willen, welchen ich dir entgegenbringen kann, diese Stellung nicht auszuschlagen. Denn von uns wirst du nur mehr deine Unterkunft erhalten, für alles Weitere sollst du fortan selbst aufkommen. Mach uns stolz. Deine Eltern.“
Soweit so gut, dachte ich also, und machte mich in diese Brunnenstrasse auf, welche etwas außerhalb der Stadt gelegen war, und fand dort rasch das Haus mit der Nummer 23. Es war eine Villa, etwas heruntergewirtschaftet, aber noch prächtig, mit weitläufigen Länderein, und einem hohen Zaun, welcher mit einer Hecke verwachsen war, und neugierigen Blicken keinen Zutritt gewährte. Ich läutete, und noch ehe ich mich umsehen konnte, führte mich ein seltsamer, nervöser älterer Mann in die Empfangshalle, schloss die Tür hinter mir und eilte mit den Kerzen, dem einzigen Lichtspender in diesen Hallen, davon. Einige Türen knarrten und ich hörte das Leise piepsen einer verirrten Ratte, ehe das Licht wiederkehrte, diesmal in der Hand eines wohlgenährten Herren, welcher wohl an die 50 Lenze zählte. Sein Haar war ergraut und seine Augen zitterten nervös als er mir die Hand gab und sich als Doktor Ebenstein vorstellte, der Bekannte meiner Mutter.
“Söhnchen, ich habe mich schon gefragt, wann Sie kommen.“ Meinte er hektisch, versuchte aber freundlich zu lächeln, was ihm nicht gelang, da seine Zähne in einem grauenhaftem Zustand waren und sein aufgedunsenes Gesicht noch erschreckender wirken ließen. „Ich habe Sie sehnsüchtig erwartet. Ihre Mutter meinte, Sie wären ein kleines Genie. Nun, wir werden bald sehen, wie viel Genie in Ihnen steckt.“ Er wandte sich um und deutete mir, ihm zu folgen, doch ich blieb stehen. „Warten Sie bitte, bevor ich mich ihnen anschließe, würde mich doch interessieren, welchen Forschungen Sie hier nachgehen? Ich will nicht eitel erscheinen, doch bin ich manchen Gebieten der Physik weniger zugetan als anderen.“ Dr. Ebenstein lächelte noch breiter, was mich erneut erschauern ließ.
„Mein Junge, ich war dereinst genau wie Sie, unentschlossen und skeptisch. Bis ich dies gefunden habe, was auch in Ihnen gewiss Neugierde aufkommen lassen wird.“
Ich seufzte, denn ich mochte es nicht, meinem Gegenüber, und wenn es ein erfahrener Forscher war, alle Informationen mühsam entlocken zu müssen. „Und was ist das, was Sie umdenken ließ?“
Dr. Ebenstein grinste nun hämisch, und mir wurde kalt in meinem Genick. Dann sagte er: „Die Weltensegler.“

To be continued…

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