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Ostfriesische Teezeremonie
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Autor:  Heimi [ 17.11.2006, 08:39 ]

========== REZKONV-Rezept - RezkonvSuite v1.2

Titel: Ostfriesische Teezeremonie
Kategorien: Aufbau, Info, Tee, Deutschland
Menge: 1 Text

====================== EINE ERZAEHLUNG VON ======================
-- Dirk Frieborg


Jahaaa - nicht nur die Japaner haben sowas - auch bei den Ostfriesen
kann man aus Tee einen Festakt machen. Waehrend unseres Urlaubs
letzte Woche in Ostfriesland habe ich mich da ein wenig schlau
gemacht und unter anderem auch in Norden das Tee- und Heimatmuseum
besucht.

Was mir nun schon vorher bekannt war: Die Ostfriesen trinken starken,
schwarzen Tee in einer speziellen, eben der Ostfriesenmischung. Sie
nehmen dazu Kluntje-Kandis (grosse, weisse Brocken) und Sahne.
Irgendwann sickerte dann auch mal zu mir durch, dass der Tee nicht
umgeruehrt wird. Allerdings kam an dieser Art bei mir nicht der
rechte Geschmack auf - ich dachte immer, man muesse lange warten,
bis sich ohne Umruehren Tee, Zucker und Sahne zu einer Einheit
mischen - weit gefehlt!

Das Vermischen dieser drei Komponenten ist eher die englische
Trinkweise: Stark, suess, und die Milch zuerst hinein, damit sich
alles mischt.

Das Wesentliche, was das ostfriesische Teetrinken von anderen Arten
unterscheidet, will ich am Ende dieses "Rezeptes" noch ausfuehrlich
beschreiben. Kommen wir ersteinmal zu den benoetigten Geraeten:

* Wasserkocher oder Teekessel (frueher wurde in speziellen Schalen,
die auf Fuessen direkt am Tisch standen, auf Glut das Wasser gekocht)
* eine Aufgusskanne aus Porzellan, dickbauchig mit eingebautem Sieb
* evtl. ein Teesieb und eine Servierkanne
* ein Stoevchen
* ostfriesische Teemischung (nach Vergleichstest mein Favorit: Onno
Behrends Auslese "Gold" - herber, kraeftiger Assam-Grundgeschmack,
leicht malzig, mit blumiger Note vom Darjeeling)
* Kluntje
* Sahne (echter Rahm, mindestens 30% Fett, keine Kaffee-Sahne oder
so was!!!)
* einen kleinen Teeloeffel zum Abmessen des Tees und zum Auflegen
der Rahmwolke, besser dazu noch einen original Sahneloeffel
(Rohmlepel).

Die wichtigsten Grundregeln sind nun:

* Es hantiert immer nur eine Person am Tisch, Hausherr oder Hausfrau!
* Es ist wesentlich unhoeflicher, den Tee auf seine Gaeste warten zu
lassen als die Gaeste auf den Tee! Der Tee muss frisch zubereitet
sein!

Nun aber die eigentliche Zubereitung: Das Wasser wird erhitzt, bis
es sprudelnd kocht! Als erstes wird nun die Aufgusskanne mit
kochendem Wasser vorgewaermt, damit kein Waermeverlust eintritt. Ist
dies geschehen, wird in die Kanne pro Tasse ein (kleiner!)
Teeloeffel Tee gegeben - und einer dazu "fuer die Kanne". [Je nach
Geschmack und bei sehr weichem Wasser kann man jedoch auch mit der
Haelfte auskommen]. Die Teeblaetter nun mit sprudelnd kochendem
Wasser uebergiessen, bis sie gut bedeckt sind. Die Kanne sollte also
nicht mehr als halbvoll sein! Auf dem Stoevchen 5 min. ziehen lassen.
Danach die Kanne mit kochendem Wasser vollfuellen.

Nun kann man so servieren oder durch ein Sieb in eine zweite
(ebenfalls vorgewaermte!) Kanne abseihen. Die Kanne wiederum auf das
Stoevchen stellen. Zum Servieren wird nun jede Tasse mit einem
Stueck Kluntje versehen (oder zwei kleinere). Hausherr/Hausfrau
fuellen jetzt zuerst ihre eigene Tasse. Dies mag unhoeflich
erscheinen, dient aber dem Zweck, dass eventuell in der Kannentuelle
verhandene Blaetter in die eigene Tasse gelangen und nicht in die
der Gaeste. Die Tassen werden nur halbvoll geschenkt! Sind alle
Tassen gefuellt, wird obenauf mit dem Loeffel ein Rahmwoelkchen
gelegt. Nicht umruehren! Es schickt sich nicht, eher zur Tasse zu
greifen, als bis der Hausherr/ die Hausfrau die eigene Tasse
beruehrt und damit zum Trinken auffordert. Und jetzt kommt das, was
den Geschmack beim Trinken ausmacht, also nicht etwa das Mischen der
Zutaten, sondern eine Art "schichtweiser" Genuss: Eine solche Tasse
Tee wird nach etwas Abkuehlung in drei Schlucken zuegig ausgetrunken,
wobei sich auch drei verschiedene Stofflichkeiten zeigen:

* Der erste Schluck ist der weiche, cremige Rahm
* Der zweite Schluck ist der herbe, wuerzige Tee
* Der dritte Schluck ist die Suesse des Kluntje.

In dieser Methode liegt der feine Unterschied: Es soll sich nichts
mischen, sondern alles tritt nacheinander "in Reinkultur" auf! Wenn
man das verstanden hat, lernt man, den Geschmack zu schaetzen und
denkt nicht mehr, dass da irgendwas schiefgegangen ist. ;) Nach der
dritten Tasse kann sich der Gast bedanken und ein Nachschenken
ablehnen, indem er den Loeffel schraeg in die Tasse stellt. Drei
Tassen jedoch gehoeren dazu. Der Volksmund sagt: "Dree Tassen is
Ostfreesenrecht!" Allerdings darf auch gern eine vierte (und mehr)
Tassen getrunken werden... Wenn man dazu bedenkt, dass traditionell
bis zu sechs Teepausen am Tag gemacht wurden, in der pro Kopf 3
Tassen getrunken wurden, so kommt man auf 18 Tassen Tee pro Tag und
Nase! Das erklaert wohl auch, warum die Ostfriesen im Teeverbrauch
mit 3kg pro Kopf und Jahr ein Zehnfaches des bundesdeutschen
Durchschnitts verkonsumieren.

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